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Der Mille-Miglia-Käfer im Reich der Mitte



12.10.2012   Von Tim Westermann

Oldtimer KaeferChina2012
Oldtimer KaeferChina2012

Auch In China stehen automobile Klassiker inzwischen hoch im Kurs. Zum zweiten Mal startete nun die „China Rallye of International Classic Cars“. Rund 1700 Kilometer müssen die Teilnehmer in ihren Oldtimern in sieben Tagen absolvieren. Gemessen an einer Mille Miglia, bei der die gleiche Distanz in knapp zweieinhalb Tagen zu fahren ist, scheint die Herausforderung dieser Rallye im Vergleich durchaus geringer. Unterschätzen sollte man die Veranstaltung dennoch keineswegs. Angesichts maroder Strassen, kaum vorhandener Verkehrsregeln und Schildern und Hinweisen in chinesischen Schriftzeichen ist diese Rallye eine ganz besondere Herausforderung.

Die Brücke zwischen der traditionsrechen Mille Miglia und dem chinesischen Abenteuer von Peking nach Shanghai, schlägt dabei der Mille-Miglia-Käfer aus der Sammlung von Volkswagen Classic. Das Auto aus dem Jahr 1956 pilotierte Volkswagens-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg auf der diesjährigen „Mille“. In China sitzt Rennlegende und VW-Motorsportrepräsentant Hans-Joachim Stuck hinter dem Lenkrad. Und gleich die erste Etappe von Peking nach Tianjin fordert Mensch und Material. Vom Startpunkt an der chinesischen Mauer führt der erste Teil der Route über 261 Kilometer bis nach Tianjin, süd-westlich von Peking.

Der erste Tag ist geprägt von Staus auf Highways. Der Grund: Viele Autofahrer fahren langsam am Rallyetross vorbei und machen Fotos der rund 35 Fahrzeuge. Das Rennen nach Shanghai entfacht Begeisterung in ganz China. Im vergangenen Jahr sahen rund 100-Millionen Zuschauer im Fernsehen zu und verfolgten das Rallye-Geschehen. In urbanen Regionen bestimmt Smog die Luft, genauso wie überfrachtete Lkw und Lieferwagen. Rote Ampeln sind lediglich ein Richtwert für die Verkehrsteinehmer. Beachtet werden sie des Öfteren nicht – Normalzustand in Chinas ländlichen „Städtchen“, die mehrere hunderttausend Einwohner haben. In kleinen Ortschaften stehen Gemüsestände direkt auf der Strasse.

Die langen Landstrassen hingegen führen Ewigkeiten schnurgeradeaus. Die Weiten Chinas sind schwer zu fassen. So stehen erst wieder im Ziel hunderte Zuschauer um die Autos im „Courtyard“ der Stadt Tianjin. Der Mille-Miglia-Käfer läuft ohne Probleme über die Pisten. Andere Teilnehmer haben angesichts der Verkehrslage kleine Blechschäden zu beklagen. Ausfälle sind nach dem Zieleinlauf der ersten Etappe noch nicht zu verzeichnen.

Oldtimer KaeferChina2012
Oldtimer KaeferChina2012

„Ich bin sehr gespannt, wie es morgen weitergeht. Heute war für mich klasse. Die Serpentinen am Anfang in den Bergen rund um Peking haben viel Spaß gemacht. China auf diese Weise im Rahmen einer Rallye näher kennenzulernen, ist ein großes Privileg“, zieht Hans-Joachim Stuck ein erstes Zwischenfazit. Für den Leiter des Porsche Museums in Stuttgart, Achim Stejskal, bietet „diese Rallye die Möglichkeit, den Chinesen die Marke Porsche und ihre reiche Motorsporttradition näher zu bringen.“

Der zweite Tag der „China Rallye of International Cars“ 2012 von Peking nach Shanghai beginnt gemütlich. Zum Startpunkt außerhalb Tianjins müssen 45 Kilometer Strecke aus der Innenstadt zurückgelegt werden. Die ersten 15 davon in einer Stunde. „Wir waren wirklich flott unterwegs“, scherzt Rennlegende Hans-Joachim Stuck als er sich die Durchschnittsgeschwindigkeit auf seinem I-Phone ansieht: 9,7 km/h. Die Rush-Hour Tianjins macht es eben möglich… Bestimmt hätte es noch länger gedauert, wenn nicht die „Motorradscouts“ kurzerhand Strassen abgeriegelt und den Berufsverkehr teilweise einfach vom Fahrerfeld abgedrängt hätten.

Solche Schleichfahrten bei 25 Grad und hoher Luftfeuchte sind eine Tortur für Oldtimer. Einige haben Kühlprobleme. Der Käfer von Volkswagen Classic hingegen erfüllt den Slogan des alten Werbespots „Er läuft und läuft und läuft…“ Nach dem Start gibt es aber viel Arbeit für den luftgekühlten Boxermotor im Heck des Käfers. Stuck nimmt den „Ovali“ – so wird der 1956er Käfer wegen seines ovalen Rückfensters im Jargon genannt – fachmännisch ran. Es geht rasant vorwärts. Im Mittelfeld gestartet werden innerhalb der ersten 30 Kilometer Strecke alle anderen Teilnehmer überholt, während die Szenerie außerhalb des Autos kaum zu glauben ist. Zuerst kommt auf der Autobahn ein Radfahrer mit einer kompletten Garküche auf dem Gepäckträger entgegen. Im Qunixian County wiederum fährt nahezu alles kreuz und quer auf der Strasse. Lkw überholen ohne auf den Gegenverkehr zu achten, auf der eigenen Fahrbahnseite kommen einem Fahrzeuge entgegen und oft fährt noch ein Motorrad Slalom über die gesamte Fahrbahnbreite. Das sei „Normalität im ländlichen China“, versichern einheimische Rallyeteilnehmer. Und das ist es eben unter anderem auch, was dieses Rennen von Peking nach Shanghai so reizvoll macht: Es ist verwegen, ein kleines Abenteuer.

Wäre nicht „die Bibel des Co-Piloten“, das Roadbook, zur Hand, hätten Europäer ohne chinesische Sprachkenntnisse schlechte Karten, das Ziel in Jinan zu finden. An manchen Kreuzungen hilft dann der Abgleich der chinesischen Schriftzeichen im Roadbook mit denen auf den Ortsschildern oder Richtungsanweisern.

Oldtimer KaeferChina2012
Oldtimer KaeferChina2012

„Es ist absoluter Wahnsinn das hier zu erleben. Diese Rallye zu fahren ist fast so, wie die Mille Miglia“, findet Hans-Joachim Stuck regelmäßig. „Man muss aber höllisch Aufpassen.“

Am Ende ist der Käfer das zweite Auto im Ziel. Stuck hat den Renner die letzten 100 Kilometer etwas geschont und das Tempo herausgenommen. Das kleine Problem mit der Bremsanlage können die stets präsenten Mechaniker Klaus-Dieter Ulrich und Michael Winkler aber nach dem Zieleinlauf schnell lokalisieren und in den Griff bekommen. So steht für Etappe drei von Jinan nach Xuzhou wieder ein technisch einwandfreies Fahrzeug zur Verfügung.

Es geht südwärts. Von Jinan über 360 Kilometer bis Xuzhou in die Ursprungsregion des Taoismus. Die Hinterhöfe auf der dritten Etappe der „China Rallye of International Cars“ wirken etwas aufgeräumter, als in den Orten der ersten Streckenabschnitte weiter nördlich. Aber wie in der Region rund um Peking hat auch hier jede größere Stadt ihre breite und ewig lange Prachtstraße. Ähnlich wie die Champs Elysées in Paris verlaufen diese Alleen zwischen den Hochhäusern der riesigen Innenstädte. Es sind nahezu alles Millionenmetropolen. Nur sind Städte mit mehr als einer Millionen Einwohner im Reich der Mitte nichts besonderes. Es gibt mehr als 150 davon, die meisten sind in Europa völlig unbekannt.

Das Land ist flach. Hügel oder Anstiege sucht man vergebens. Vielleicht gibt es hier gerade deshalb jede Menge Elektrofahrräder. Das Problem: Man hört sie nicht und muss unheimlich aufpassen, nicht angefahren zu werden.

Oldtimer KaeferChina2012
Oldtimer KaeferChina2012

Nach seiner Reparatur läuft der Mille-Miglia-Käfer von Volkswagen Classic mit Hans-Joachim Stuck am Steuer wieder einwandfrei. Probleme gibt es nicht. Lediglich die von Smog und Feinstaub belastete Luft setzt Windschutzscheibe und Lack etwas zu. Die Staubschicht wächst stetig. Doch dieses Phänomen ist in China tagesabhängig. Einen Tag später könnte schon wieder reine Luft herrschen. Dann wird die Sicht rund 100 Meter vor dem Auto nicht dunstig.

Spaß macht es, in China zu tanken. Der Sprit kostet verglichen mit Deutschland gut die Hälfte. Darum arbeiten viele Chinesen wohl auch als Taxifahrer, um Geld zu verdienen. Oft sind es Volkswagen Santana oder Jetta die als Taxi durch die Städte rollen – oder über die unzähligen, staubigen Pisten Abseits der großen Hauptstraßen. Apropos Hauptstraßen: Die Navigation führt die Teilnehmer der Oldtimer-Rallye oft kilometerlang geradeaus. Doch verpasst man nur einen Abzweig, hat das in den meisten Fällen einen sehr langen Umweg zur Folge…

Der Käfer mit der Startnummer 17 hält sich bestens. Auf Twitter und in chinesischen Zeitungen ist bereits zu lesen, dass der grüne Volkswagen das Auto ist, das so schnell fährt, dass es keiner einholen kann.

Klare Luft in Xuzhou am Morgen des vierten Tages. Der Smog ist über Nacht verschwunden. Die klare Luft tut auch dem 75 PS starken Mille-Miglia-Käfer gut. Wie ein Uhrwerk läuft der luftgekühlte Motor im Heck. Zuverlässig, störungsfrei und rund. Andere Fahrzeuge haben bereits Probleme nach den ersten Etappen. An Tag vier setzen nur noch 19 von ursprünglich 35 Oldies das Rennen fort.

Xuzhou ist eine Bergbaustadt. Die Technische Bergbau-Universität liegt am Wegesrand. Das Ziel ist Hefei. Zunächst ist die Qualität der langen und breiten Highways und Landstraßen bestechend. Sauberer glatter Asphalt. Doch die Route führt an diesem Tag in die tiefe chinesische Provinz. Schotterpisten, riesige Schlaglöcher und gigantische Längs- und Querrillen bestimmen den Weg. Haufenweise Lkw, Menschen, Radfahrer, Tiere tummeln sich auf den immer schmaler werdenden Straßen. In den ländlichen Regionen Chinas gibt es noch sehr viel Entwicklungspotenzial. Heruntergekommene Autos und Lastwagen, häufig auch als eigene improvisierte Konstruktionen, bestimmen das Bild.

Währenddessen wird die zweite Hälfte der vierten Etappe zur Tortur für den Käfer von 1956. Stoßdämpfer, Reifen, Fahrwerk und der Motor werden Extrembelastungen ausgesetzt. So auch auf der letzten Zeitprüfung über 30 Kilometer. Eine Stunde für diese Strecke scheint auf den ersten Blick recht viel. Wie sich jedoch herausstellt, sind diese 60 Minuten doch recht knapp bemessen. Schritttempo ist Voraussetzung auf den Betonpisten, die noch aus Maos Zeiten zu sein scheinen. „Da musst Du die gesamte Straße analysieren und die komplette Breite ausnutzen, um den besten Weg durch dieses Labyrinth von karosserie- und fahrwerkfeindlichem Untergrund zu finden“, resümiert Hans-Joachim Stuck.

Dass der klassische Volkswagen im Ziel wieder einen funktionsfähigen Tacho und Kilometerzähler hat – und damit für die fünfte Etappe voll einsatzfähig ist – ist den Improvisateuren zu verdanken. Die Mechaniker Michael Winkler und Klaus Ulrich durchforsteten sämtliche Kleinwerkstätten am Wegesrand nach Ersatzteilen, um die abgescherte Tachowelle des Käfers instandzusetzen. Geholfen hat am Ende ein weggeschmissenes am Bordstein liegendes Teil, das kurzerhand so umfunktioniert wurde, dass sowohl Tacho als auch Kilometerzähler wieder laufen. Etappe Nummer fünf führt heute nach Nanjing, die alte Hauptstadt und Hochburg der chinesischen Herrscher.

Fortsetzung folgt …











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